Du Stephan Müller, sag mal..

beach-volleyball.de: Ist man hauptberuflich Schiedsrichter:in und was kommt dabei eigentlich finanziell herum? 

Stephan Müller: "Man macht das in Westeuropa sicher zur Freude. Ich habe in den 2000ern angefangen und eine gute Entwicklung in den Bedingungen gesehen. Aber auch in 2022 ist es kein Teilzeit- oder Vollzeitjob, wie ihn einer meiner Bekannten aus dem Fußball betreiben kann."

Wenn man Beach-Schiedsrichter:in ist, ist man dann gleichzeitig auch Hallen-Schiedsrichter:in oder ist das die Ausnahme?  

"Ich persönlich nehme die Strapazen auf und mache im Wechsel beides, manchmal sogar überlappend. Das war ganz schön anstrengend, eine Woche Halle und die Woche darauf die Elite im Sand zu pfeifen. Mit den Jahren aber fiel es (zum Glück) immer leichter. Derzeit bereite ich mich in der 1. und 2. Bundesliga auf ein Beach-Turnier auf den Malediven vor :-)"

Wie lange dauert der Weg, bis man Schiedsrichter in Timmendorf ist? 

"Timmendorf war auch immer mein Ziel. Ich habe 2004 den B-Schiedsrichterschein gemacht und 2005 schon den A-Schein. Im selben Jahr war ich als Schreiber in Timmendorf und musste die Spieler mit Nummer 1 und 2 fragen, wer denn diese Okka (Rau) und wer diese Stephie (Stephanie Pohl) sind, damit ich das in meinem Bogen richtig eintragen konnte (Anm. d. Red.: Ein Top-Team zu dieser Zeit). In den Folgejahren hatte ich großes Glück als nationaler Schiedsrichter auch internationale Turniere zu bestreiten (Grand Slams in Berlin, EM in Hamburg/Berlin, Grand Slams in Polen oder FIVB Open in Aland, Finnland). Monetär aber oft ein Nullsummenspiel. Für Timmendorf hatte es, glaube ich, daher recht schnell gereicht: 2006 war mein Schiedsrichter-Debüt. Alles war neu, alles war spannend. Nach 13 Deutschen Meisterschaften ist es immer noch spannend, welches Hotelzimmer man bekommt und ob man Seeblick hat, aber das Zwischenmenschliche ist für mich mittlerweile das Wichtigste. Zwischen Spielern und Schiedsrichtern und langen Wegbegleitern, die man auch außerhalb Deutschlands und nur beim Beach-Volleyball treffen kann."

Sind Schiedsrichter üblicherweise ehemalige Spieler? 

"Ich würde behaupten, ich kenne keine Schiedsrichter, die nie gespielt haben. Das Niveau ist hier natürlich unterschiedlich. Ich hatte Glück und bin mit 18 Lebensjahren in die Bundesliga (Halle) und in den Beachbereich gekommen. Aber auch das war eher Zufall. Ich habe selbst B- und A-Jugend am Stützpunkt Leipzig trainiert, dazu in einer Erwachsenenmannschaft in der dritthöchsten Liga gespielt. Nebenbei habe ich die D- und C-Jugend am Stützpunkt trainiert und Abitur gemacht. Schiedsrichter habe ich gerne gemacht, weil es meine Fahrtkosten immer zuverlässig bezahlt hatte. Und je zuverlässiger und besser ich wurde, so schneller stieg ich auf. Den ersten Hallenschein hatte ich mit 14 Jahren im Jahr 1999 und 2009 durfte ich mich beim Anwärterkurs als internationaler Schiedsrichter wagen. Seither habe ich Spaß an über 4000 nationalen und internationalen Hallen- und Beach-Volleyballspielen gehabt. Der Weg ist möglich für jeden, aber man braucht vor allem eine Menge Spaß und Durchhaltevermögen, um sich "nach oben" zu arbeiten. Auf dem Weg liegt im günstigen Fall die ein oder andere EM, WM oder ein Finale im Inland. Auch außerhalb gibt es einige spannende Flugreisen."

Fragen rund um das Zuspiel

"Beim Pritschen über das Netz ist grundsätzlich zu sagen, dass es erlaubt ist. Jedoch mit Einschränkungen – möchte man den Ball mit Absicht (im Sinne eines Angriffs) über das Netz spielen, dann muss der Ballkontakt im 90 Grad zur Schulterachse geschehen, sowohl vorwärts als auch Über-Kopf. Der Körper darf nicht erst in der letzten Sekunde in diese Position gebracht werden, sondern man muss sich bereits deutlich vor dem Ballkontakt regelkonform ausgerichtet haben."

"Wenn man keine Absicht unterstellt, dann redet man vom sogenannten "Zuspielversuch". Der Ball darf dann auch beim Gegner ankommen - typischerweise landet der Ball dann nicht wie beim "Angriffszuspiel" im hinteren Teil des Feldes, sondern in der Nähe des Netzes beim Gegner. Grund hierfür kann (plötzlicher) Wind sein, aber auch technisches Unvermögen - es muss für den Schiedsrichtenden zu "interpretieren sein", dass es nicht der erst genannte Fall eines "Angriffszuspiels" ist."

"Je schneller man zuspielt, desto mehr darf ich auch leicht doppelt berühren. Für mich völlig nachvollziehbar und eine gute Sache, denn kurzer Kontakt heißt weniger Kontrolle über den Ball. Somit ist ein schnelles Zuspiel, was nicht geworfen ist, ist selten fehlerhaft (in extremen Fällen auch eine Doppelberührung). Eine Entwicklung, die ich sehr schätze, ist, dass man auf die Doppelberührung weniger streng reagiert, wenn der Kontakt schnell ist. Ein Zuspiel mit viel Kontrolle steht dagegen im Blick der Schiedsrichter, weil es viele Optionen für einen Angreifer bietet. Hier achten wir auf die Kriterien: 1.) Ball wird lateral gespielt (seitlich), 2. Ball über Kopf gespielt und 3.) Ball wird zu lange gehalten (Stop-and-go, langes Stop - beim Empfangen oder Verlassen des Balles). Als Faustregel: Diese drei Techniken sollten nicht einen längeren Ballkontakt zur Folge haben als ein reguläres, "normales" Frontalzuspiel."

"Es gibt keine neue Regel. Der Regeltext hat sich nicht geändert! Ein Ball darf weiterhin "nicht geworfen oder gefangen" werden. Aber man kommt nun dazu, was man Pandemie-bedingt nicht geschafft hat, ein schnelles Zuspielen zu „erzwingen“. Für mich ein normaler Vorgang, den wir zuletzt für die Olympischen Spiele 2012 und 2016 erlebt hatten. Im Prinzip ist es so, dass Spieler ausnutzen, mehr Kontrolle auf einen Ball zu haben und den Ball entsprechend länger spielen. Wenn da kein Gegendruck (von Schiedsrichtern und Verband) kommt, wird das extremer. Dieser Gegendruck zum Start des Olympiazyklus blieb in der Pandemiezeit für 2019/2020 aus. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise wird diese Zeit genutzt, um neue Regeln zu implementieren oder zu schärfen. Offenbar sind wir nach der Pandemie an einem Punkt, an dem ein extremes Entgegensteuern nötig war. Ob das mit den verwendeten Mitteln erfolgreich und richtig war, ist nicht mir überlassen zu bewerten. Ich habe da als FIVB Offizieller die Pflicht umzusetzen und ggf. zu erklären, was ich gern tue."

 

 

 

"Grundsätzlich gibt es keine Einschränkungen im Regelwerk, den ersten Ball zu spielen. Er kann also auch im oberen Fingerzuspiel gespielt werden. Kriterien sind dieselben, wie beim normalen Feldzuspiel, also soll das Zuspiel so sauber sein, wie wenn ich ihn zu meinem Partner spiele."

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Abdruck oder die wackelnde Linie?

Beim Ballabdruck scheiden sich die Geister. Als Hilfe vorab: richtet man die Linie vor dem Anpfiff, erspart das viel Ärger. Grundsätzlich ist jeder Ball, der die Linie berührt als "IN" zu geben, auch wenn ein Abdruck im "AUS" ist. Der Schiedsrichter darf bei (eigenen) Zweifeln auch die Ballmarke checken. Linie zurücklegen gibt es in einem selten bestimmten Fall. Das ist, wenn die Linie im letzten Moment, also die letzte Aktion vor dem Auftreffen des Balles im Sand, "signifikant" verschoben wurde. Das ist recht vage - ich persönlich, würde ab ca. 30 cm Verschiebung eine Linie zurücklegen, die sich z.B. bei der Abwehraktion vor dem letzten gegnerischen Angriff verschoben hat. Übrigens: Ecken, die nicht abgeklebt sind, sind im Regelwerk nicht vorgesehen. Hier gilt auch: Vorher abkleben, dann gibt es kein Problem. Ich persönlich würde eine solche Linie nicht zur Spielfeldmarkierung zählen. 

Was ist nach dem Regelwerk ein Ballkontakt in Bezug auf Haare, Mütze und Kleidung?

Ich persönlich nehme an, es gilt, "was sich (fest) am Körper befindet, gehört zum Spieler". Sprich, ein Trikot im Netz, oder ein Basecap sind fehlerhaft, wenn sich diese "während der Spielaktion" im Netz befinden. Ein herunterfallendes Basecap oder deine Sonnenbrille, die getroffen werden und nicht am Spieler sind, wären zum Vorteil des Spielers, der dieses Equipment gerade verloren hat. Es ist anzunehmen, dass es hier demnächst eine Klarstellung im Casebook der FIVB geben wird. Grund ist, dass die Indoor-Damen einen Challenge-Fall hatten, bei dem der Ball in einer Challenge den Pferdeschwanz der Spielerin berührt. Nach neuer Auffassung ist dies kein Fehler mehr der Blocker:in, sondern der Angreifer:in, wenn der Ball mit dieser Berührung im "AUS" landet. Im aktuellen Casebook Beach vom 17.05.2022 ist kein solcher Fall bekannt.

Vom Drückduell ins Aus, wer bekommt den Punkt?

Beim Drückduell gibt es eine einfache Regel: beim gleichzeitigen Kontakt, bekommt das Team den Punkt, auf dessen Seite der Ball im "AUS" landet. Bei Antennenberührung wird der Spielzug wiederholt. Es ist aber unwahrscheinlich, dass zwei Spieler einen Ball gleichzeitig "berühren", hier meine ich auch speziell den letzten Kontakt. Ich plädiere hier für den fortgeschrittenen Schiedsrichter darauf, zu erkennen, ob ggf. ein Spieler zuletzt den Ball berührt hatte - dann wäre auf "letzter Kontakt" zu entscheiden. Dies ist seit Kurzem international auch eine weitere Spezifikation der Challenge für "Block Touch".

Ist Netzkontakt gleich Netzkontakt?

Ein Spieler darf den Pfosten, das Netz und jegliche anderen Objekte außerhalb der Antenne berühren. Netzberührungen sind nur ein Fehler, wenn sie innerhalb der Spielaktion (z.B. Absprung, Angriff, Block oder Landung) stattfinden. Ausnahme bildet der "Schlag mit Hilfestellung". Wenn ich also das Netz außerhalb zu meinem Vorteil berühre, begehe ich auch dann einen Fehler. Antenne und Antennentasche gehören zum Netz - für diese gilt dieselbe Regel wie für das Netz (innerhalb der Spielaktion keine Berührung erlaubt). Ein Ball darf das Netz zwischen den Antennen berühren; berührt er aber einen Gegenstand außerhalb, ist dies fehlerhaft (Schiedsrichter, Pfosten oder eben auch Netz außerhalb der Antennen sowie Spannseile).