Im Jahr 2022 hat das Duo mit dem Elite 16 Sieg in Ostrava und der Bronze-Medaille bei den Weltmeisterschaften in Italien auf sich aufmerksam gemacht. Cinja Tillmann war schon 2010 Junioren-Europameisterin, gewann 2012 Bronze in Timmendorf und ist durch ihre Leistungen im vergangenen Jahrzehnt ein fester Bestandteil auf der Volleyball-Bühne gewesen. Svenja Müller dagegen ist ›frisch‹ aus der Welt der Junior:innen-Meisterschaften herausgewachsen. Nicht nur wegen ihres Raketenstarts auf der World Tour lohnt sich ein Blick auf ihren Werdegang: Die 21-Jährige hat auf ihrem Weg zur Weltspitze einige Chancen auf ein professionelleres Umfeld liegen lassen, zugunsten eines nachhaltigeren – für sie richtigen - Weg, wie sie sagt.

Groß, balltalentiert und viel Spaß am Sport

Mit 13 Jahren spielt Müller ihr erstes Beach-Volleyball Turnier. „Meine beste Freundin hatte mich gefragt, ob ich Lust auf ein Turnier hätte, und ich hatte Bock drauf! Hallenvolleyball habe ich damals schon gespielt. Es hat direkt von Anfang an Spaß gemacht und war Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste direkt: Wenn ich mich mal zwischen Halle und Beach entscheiden muss, wähle ich Beach-Volleyball.“  Wie wir heute wissen, hat diese Liebe auf den ersten Blick gehalten. Wer groß ist, Ballgefühl mitbringt und viel Spaß am Spiel hat, erhält in Deutschland oft die Chance, an einem Landes- oder Bundesstützpunkt zur Profisportlerin heranzureifen. Doch diese Möglichkeit nimmt Müller nicht wahr. 

Zu klein oder eine Spätzünderin war Svenja Müller nicht. „Am Anfang war ich einfach groß. Mein Vorteil war, dass ich mich für meine Größe relativ gut bewegen konnte“, antwortet sie auf die Frage, wie sie zum ersten Mal in das Blickfeld eines Auswahltrainers geraten ist. 

Aus der Fähigkeit, sich >relativ gut bewegen zu können< und auch Lust darauf zu haben, ist bald ein offensichtliches Talent geworden. Sowohl in der Halle als auch im Sand wird ihr die Möglichkeit einer sportlichen Ausbildung an verschiedenen Stützpunkten angeboten. Mit dem Gedanken, einmal Profisportlerin sein zu können, wird sie so schon sehr früh konfrontiert. „Ich war klassisch erst in der Kreisauswahl, dann Bezirksauswahl und so weiter. Mit 14 Jahren hatte ich dann eine Probewoche im Internat in Münster. Ich wusste seither, dass ich Profi werden könnte, wenn ich wollte.“ 

Immer wieder neu Entscheiden

Aus einem völlig natürlichen und für ein 14-jähriges Kind nachvollziehbaren Grund wollte sie aber nicht ans Internat: „Ich war mir allerdings immer unsicher, weil ich als Kind stark Heimweh hatte und der Weg dorthin schon früh damit verbunden war, viel auf Reisen zu sein. Mit 14 war das noch so ... Mhm, ich weiß nicht, ob es das Richtige für mich ist. In der Schule war ich auch nicht die Beste, sodass ich Angst hatte, mit so viel Training nicht alles hinzukriegen“

Im Talent-Fördersystem des DVV und der darunterliegenden Landesverbände werden die Spielerinnen und Spieler mit dem größten Potenzial früher oder später an Landes- beziehungsweise Bundesstützpunkten zusammengezogen. Hier bieten sich an Sportinternaten Bedingungen, die für die Kombination aus Leistungssport und Schulbildung gemacht sind. Es gibt für Nachwuchsathlet:innen des Deutschen Volleyball Verbandes keine Verpflichtung, die Jugend an einem Stützpunkt zu verbringen, jedoch ist es ohne die Unterstützung des Verbandes derart schwer für Heranwachsende, konkurrenzfähige Trainingsbedingungen auf die Beine zu stellen, dass der Weg an den Stützpunkt für die meisten alternativlos erscheint. Umso mehr ist es besonders, wenn das Nationaltrikot von jemandem getragen wird, der eine solche Alternative gefunden hat. Svenja entschied sich immer wieder aufs Neue gegen einen Stützpunkt. Auch als sie mit 16 Jahren beginnt Beach-Volleyball nicht nur noch als Freizeitspaß im Sommer zu sehen, sondern leistungsorientiert bei der DJK TUSA Düsseldorf trainiert. 

„Mit Beach-Volleyball Training habe ich dann erst mit ca. 16 Jahren bei den Mädchen der TUSA Düsseldorf angefangen, mit den Coaches Waldemar Uherek und Wollo Wybrands. Davor habe ich auch nur Halle gespielt. Ich wurde jedes Jahr aufs Neue gefragt, ob ich nicht auf einen Stützpunkt möchte. Irgendwann dann auch für Beach-Volleyball in Stuttgart. Meine Gründe zum Ablehnen blieben aber immer die gleichen: Schule und Heimweh.“ Aus dem Kinderzimmer heraus, etwas überspitzt gesagt, baute sich Svenja mit der Unterstützung von ihren Eltern ein Netzwerk auf, mit dem sie auf ihre persönlichen Bedürfnisse ausreichend achten und ihre Fähigkeiten im Beach-Volleyball trotzdem stetig weiterentwickeln konnte.  

„Die Trainer hatten die Erwartung, dass ich genug trainiere und mich durch ausreichend Krafttraining auch athletisch entwickle. Ich musste mir alles selbst organisieren, davon habe ich mich aber nicht beeinflussen lassen und versucht mein Ding zu machen. Ich habe halt alles so gut gemacht, wie es ging. Trotz allem durfte ich schon mit 15 Jahren eine unter 18 Europameisterschaft spielen, ein richtiges Problem war es also nicht, dass ich zu Hause gelebt und trainiert habe. Ich habe in Dortmund gewohnt, bin dann nach der Schule oft nach Düsseldorf zu Markus Dieckmann zum Training gefahren, dann hatte ich noch dreimal in der Woche Hallentraining in Hörde – und dann habe ich noch versucht zweimal pro Woche Krafttraining zu machen. Aber nach Schule und allem war es dann eher so ... naja. Aber es hat wohl irgendwie gereicht.“ 

Organisationsfähigkeit mit Unterstützung

Ob sie das dank einer besonders ausgeprägten Organisationsfähigkeit und Disziplin geschafft hat oder sich diese Eigenschaften bei ihr in dieser Zeit gezwungenermaßen entwickelt haben, lässt sich heute nicht mehr sagen.  

„Ich denke ich bin vielleicht nicht ganz so verpeilt wie manch andere, sonst wäre das so auch nicht gegangen. Ich muss aber auch sagen, dass mich meine Eltern dabei sehr unterstützt haben. Sie haben mich, als ich noch keinen Führerschein hatte, zum Beispiel nach Düsseldorf gefahren und dort zwei Stunden verbracht, während ich Training hatte und waren währenddessen Einkaufen oder so. Allein hätte ich das auf keinen Fall hinbekommen.“ 

Betrachtet man den Aufwand, den die Dortmunderin betrieben hat, im Vergleich zu der ihr immer wieder angebotenen Alternative Sportinternat, stellt sich die Frage, wie begeistert die verantwortlichen Stützpunkt- und Bundestrainer darüber waren. Egal, ob absichtlich oder nicht, dass eine Athletin im Trainingsalltag nicht mit den Entscheidenden zusammenarbeitet, kann verständlicherweise einen Einfluss auf die Nominierung zu großen Wettkämpfen haben.  

„Vom Verband habe ich nie das Messer auf die Brust gesetzt bekommen à la >du musst an einen Stützpunkt, sonst bist du raus<. Ich konnte immer an Lehrgängen in den Ferien oder vor Meisterschaften an den Auswahlmaßnahmen teilnehmen. Ich bin dann so von Nominierung zu Nominierung dabeigeblieben. Irgendwann hatte ich dann auch kommuniziert, dass ich nach dem Abi bereit wäre, an einen Stützpunkt zu wechseln.“

Auf die richtige Mischung kommt es an

Svenja Müller hatte für sich die richtige Mischung aus Eigenmotivation, Unterstützung und Druck von außen gefunden. Ein wünschenswerter, aber schwer zu reproduzierender Zustand.  

„Ich denke, für mich war es genau der richtige Weg. Ich schätze schon, dass ich am Stützpunkt schneller besser geworden wäre – aber ich weiß nicht, ob ich dann heute noch spielen würde. Für mich war das ein guter und nachhaltiger Weg, der richtige Weg. Das soll nicht heißen, dass es für jeden so passen würde.“  Zu dieser Mischung gehört auch ein Umfeld, das ihre Bedürfnisse erkennt und sie auf ihrem eigenen Weg begleitet, anstatt ihr einen anderen aufzuzwingen. 

„Hätte man mich vor die Wahl gestellt: Stützpunkt oder Ende der Nationalmannschaftskarriere, ich glaube, ich wäre nicht an den Stützpunkt gegangen und hätte mich eher gegen Beach-Volleyball und Leistungssport entschieden. Ich glaube aber auch, dass die Trainer das wussten und mich deshalb nicht vor diese Wahl gestellt haben!“ 

Während für viele junge Sportlerinnen mit der Einladung an den Stützpunkt ein lang angestrebter Wunsch in Erfüllung geht, beginnt an dieser Stelle auch ein Abwägen von Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Ihre Erfahrungen möchte Svenja gerne an Jüngere weitergeben, sieht dabei aber organisatorische Probleme: 

„Für mich wäre es auch schon cool gewesen, mit jemandem zu sprechen, der den Weg so gegangen ist, wie ich ihn gegangen bin. Ich hatte aber meistens nur Kontakt zu Gleichaltrigen und die waren dann halt auf dem Stützpunkt. Wenn jetzt jüngere Mädchen mit Fragen auf mich zukommen würden, würde ich denen natürlich helfen und ihnen Tipps geben. Allerdings weiß ich nicht, wer das im Moment lostreten sollte – Ein Sportdirektor vielleicht?“ 

Selbstkritisch bis an die Weltspitze 

Am Ende einer langen Woche sitzt Svenja im ägyptischen Hotel „The Breakers“ Sie hat hier mit Cinja Tillmann im Rahmen eines Beach-Camps von beach-volleyball.de ein Trainingslager absolviert. Jetzt resümiert sie: „Mir geht es gut, die Woche hat Spaß gemacht und ich habe auf dem Feld gelächelt, das war nicht immer so.“ Wieso? „Ich bin sehr selbstkritisch und ärgere mich sehr über meine Fehler, das zieht mich auch schnell im Training runter. Außerdem hasse ich es zu verlieren. Schon als Kind, auch bei Gesellschaftsspielen oder so, immer als ich gemerkt habe, ich verliere, wollte ich nicht mehr weiterspielen und habe das ganze Spielbrett vom Tisch abgeräumt. Das war schon immer so.

Während ihrer Jugend hatte Svenja nicht nur Brettspiele von Tischen geschleudert, sondern auch unter Heimweh gelitten. Das Heimweh hat sich mittlerweile verwachsen und sie reist selbstbewusst zu den Stränden dieser Welt. Wie sieht es mit den fliegenden Spielbrettern aus? 

Das ist bis heute fast gleichgeblieben. Nach verlorenen Spielen brauche ich erstmal meine Zeit, bis ich etwas neutraler auf das Ganze schauen kann. Ich brauche dann etwas, um mich abzureagieren. Cinja und ich haben auch eine Sportpsychologin, mit der wir arbeiten. 

Ein ausgeprägter Hass auf Niederlagen dürfte unter Spitzensportler:innen fast aller Disziplinen keine Seltenheit sein. Auch hier ist Svenja selbstkritisch und macht aus ihrer Eigenschaft eine Aufgabe: 

„Ich denke schon, dass es eine gute Eigenschaft sein kann, wenn man versucht, seine Emotionen richtig zu lenken. Das muss man halt lernen, so wie alles andere beim Beach-Volleyball auch. Früher war es oft so, dass, wenn ich sauer auf mich war, weil ich gerade schlecht war, ich dann komplett aufgehört habe zu spielen. Dann habe ich mir gedacht: >boah, ne ey, kein Bock mehr, es läuft ja gar nichts<. Und jetzt versuche ich, wenn ich merke, dass es nicht läuft, mich da eher rauszupushen und meine Aggressionen auf den nächsten Schlag zu lenken. Also eine andere Reaktion auf die gleiche Emotion zu zeigen."

Gut fühlen und gut spielen

Wie würde ein Rat von dir an eine junge Spielerin in etwa klingen?

„Am Ende muss man das machen, was einen glücklich macht. Es bringt auch nichts, wenn man eine super Beach-Volleyballerin ist, dabei aber nicht glücklich ist. Letztlich ist es doch einfach ›nur‹ Beach-Volleyball. Es ist zwar mein Beruf, aber würde es keinen Spaß machen, würde ich den Sport nicht mehr als Beruf ausüben wollen. Mach das, womit du dich wohler fühlst. Klar, am Stützpunkt hast du erstmal die besten Möglichkeiten. Schule und Training am gleichen Ort erleichtert schon mal vieles! Man hat besseres Training, rein sportlich ist der Stützpunkt der bessere Weg. Aber wenn man daran denkt und schon Bauchschmerzen bekommt, dann bringt das auch nichts. Wenn es einem schlecht geht, kann man auf Dauer auch nicht gut spielen.“ 

Könntest du dir ein Leben ohne Beach-Volleyball vorstellen? 

„Die Welt würde nicht untergehen, wenn ich nicht mehr auf diesem Niveau spielen könnte ... Naja, irgendwo schon, weil ich es echt schon gerne mache, *lachen*. Also manchmal habe ich auch das Gefühl, dass ich das Ganze zu ernst nehme, weil ich so ehrgeizig bin, auch im Training. Und für mich die Welt untergeht, wenn ich verliere. Dann muss ich mir selbst wieder einreden, dass es nur um Beach-Volleyball geht. Ich denke, ich würde immer weiterspielen wollen, egal auf welchem Niveau. Egal, ob Nationalspielerin oder nicht. Ich mag den Sport einfach.“