Es geht darum, schlauer und besser zu trainieren als der Rest

Jürgen Wagner soll als Head of Beach-Volleyball das Konzept für eine erfolgreiche Zukunft gestalten. Welche Spieler:innentypen braucht es dafür? Hier gibt er einen Einblick in seine Philosophie. Ein Gesprächsprotokoll.

Wie werden aus Athlet:innen Olympiasieger:innen? Welche Spieler:innentypen braucht es dafür? Wie weit kommt man mit Talent?

Das sind einige der Fragen, die wir mit Jürgen Wagner (65) klären wollten. Als Architekt der zwei Olympiasiege von Brink/ Reckermann 2012 und Ludwig/ Walkenhorst 2016 gilt er als der Beach-Volleyball-Experte Deutschlands.

Als Head of Beach-Volleyball beim Deutschen Volleyball-Verband soll er eine einheitliche Philosophie schaffen, nach der und mit der alle Beteiligten, von den Trainer:innen, über Trainingswissenschaftler:innen bis hin zu den Athlet:innen arbeiten können – aus diesen Gedanken können sich auch Freizeitspieler:innen vieles mitnehmen.

Wir haben das Gespräch aufgegliedert und lassen in den Themenblocken nur den zu Wort kommen, der sich wirklich auskennt: Jürgen Wagner über…

Wer sich nicht quälen kann, schafft es nicht (Spoiler: Clemens Wickler gehört nicht dazu)

Es gibt natürlich unterschiedliche Trainings- und Beach-Volleyball-Philosophien. Die Philosophie, die wir jetzt umsetzen wollen, ähnelt derjenigen, die ich in den vergangenen Jahren praktiziert habe. Dafür muss aber auch der Typ Mensch passen. Es ist extrem viel Kopfarbeit und extremer Einsatz erforderlich.  Das ist wirklich harte Arbeit. Wenn du keine Freude daran hast, dich im Training zu quälen, dann lass es sein. Du schaffst es nicht. Das kann man nicht vier oder acht Jahre machen, dann bist du psychisch kaputt danach.

Beispiel Krafttraining: Wenn du Höchstleistungssport verstanden hast, gehst du morgen früh ins Krafttraining, merkst, wie du dich fühlst, und passt Gewicht oder Wiederholungszahl an. Das muss die Entscheidung des Sportlers sein. Wenn du acht Wiederholungen schaffst, und dann noch eine neunte oder zehnte machst: Dann ist die achte Wiederholung Krafterhaltung, die Entwicklung kommt mit der neunte oder zehnten. Krafttraining ist Kopftraining. Deswegen wurde bei Clemens eine Woche vor Olympia eine Sprunghöhe von 77 Zentimetern im Sand gemessen. Weil er in den vergangenen zwei Jahren jede letzte Wiederholung gemacht hat. Das musst du als Trainer entwickeln. Ein Trainer ist ein Helfer.

Leistung im Training: Warum Talent nicht alles ist

Auf der Welt trainieren so viele Spieler hart, um zu den Olympischen Spielen zu kommen. Es gibt verschiedene Punkte, die sie unterscheidet. Ob es das größte Talent sein muss, sei mal dahingestellt. Julius Brink hatte nicht das größte Talent (obwohl er sicherlich sehr talentiert war). Aber er war der härteste Arbeiter. Extremer Ehrgeiz, eine hohe intrinsische Motivation, die Lust, hohe Umfänge zu trainieren: Das ist die Basis. Dann geht es darum, schlauer und besser zu trainieren als der Rest.

Dafür sind zwei Kriterien wichtig: Schafft es der Spieler, seine geistigen und körperlichen Verfügbarkeiten an diesem Tag zu 100 Prozent auszuschöpfen? Wenn du an diesem Tag 85 Prozent im Kopf und Körper hast, im Training 86 Prozent erreichst, dann ist es ein perfektes Training. Der andere wichtige Punkt ist: Qualität. Es geht darum, jede Bewegung, jeden Ballkontakt, jede Wahrnehmung auf ein für dich maximales Level zu bringen. Und in der Abwehr den Ball nicht nur zu bekommen, sondern auch so zu spielen, dass der Partner ihn auch noch gut zuspielen kann. Dazu gehört auch, dass du morgens um 7 Uhr aufstehst und dir um 7.15 Uhr überlegst, was du tun musst, damit du um 10 Uhr topfit bist.

Extremer Ehrgeiz, eine hohe intrinsische Motivation, die Lust, hohe Umfänge zu trainieren: Das ist die Basis.

Die eigene Überzeugung, das Richtige zu tun

Wenn junge Menschen im Alter von 14 bis 17 Jahren anfangen, sich für Leistungssport zu interessieren, muss man sie das erfahren und erleben lassen. Im Erwachsenenbereich bin aber ich der festen Überzeugung: Ich trainiere mit keinem Spieler etwas, was er nicht will. Nur eine hundertprozentige eigene Überzeugung und ein Bewusstsein hat Wirkung. Ohne Eigenverantwortung und starke Persönlichkeit hast du keine Chance, letztendlich im entscheidenden Spiel deine Leistung abzurufen, aber auch deine Entwicklung zu steuern.

Selbststeuerung unter emotionalem Stress ist ein absoluter Keypoint. Ich will niemanden überreden, nach Hamburg zu kommen oder Höchstleistungssport zu machen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er Höchstleistungssport machen will oder nicht und die optimalen Bedingungen in Hamburg nutzen will. Ich kann bei der Entscheidung beratend helfen und Bedingungen optimieren.

Jedes Team muss seine eigene maximale Qualität entwickeln

Ich habe mir immer gesagt, dass es nach vier oder acht Jahren intensiver Zusammenarbeit einen Wechsel für den Sportler braucht, weil man neue Reize setzen muss. Da musste ich mich aber selbst Lügen strafen, ich habe schließlich zwölf Jahre Jonas Reckermann hinter mir. Das war ein Eigentor (lacht).

Aber grundsätzlich denke ich immer noch so. Ein Headcoach muss in allen Bereichen genau wissen, was passiert. Er muss nicht überall der Beste sein. Das geht auch gar nicht. Aber er muss es steuern. Ich bin eigentlich auch ein Gegner von Trainingsgruppen. Jedes Team ist ein eigenes Team, sie sind ja auch Konkurrenten. Jedes Team muss seine eigene maximale Qualität entwickeln.

Anzeige