Timeout für den Nachwuchs

Die Corona-Pandemie wirkt sich auch auf den Leistungs- und Breitensport aus. Zwar war in manchen Bundesländern mehr erlaubt als in anderen, doch normal trainieren konnte lange niemand. Was die Spielpause für Deutschlands Beach-Volleyball-Nachwuchs bedeutet, jetzt und auf lange Sicht. 

“Es bricht mir das Herz, wenn ich unsere Felder hier sehe, die um die Zeit schon voll wären”, sagt Kay Matysik. Der Ex-Nationalspieler trainiert den Bundesnachwuchs im Beach-Volleyball am Stützpunkt in Berlin-Hohenschönhausen. Eigentlich wird die Anlage ab April sehr intensiv genutzt, von Kindern über die Jugend bis hin zu Nachwuchs-Profispieler:innen. Lange durften allerdings auch in der Hauptstadt nur Spitzensportler:innen trainieren oder die, die im Bundes- oder Landeskader sind. Und damit blieben sogar Spieler:innen, die an den Deutschen Meisterschaften in Timmendorf teilnehmen, auf der Strecke. 

Lisa Kotzan ist eine von ihnen. Sie spielt seit Jahren regelmäßig auf der deutschen Tour, belegte 2019 den fünften Platz bei den Deutschen Meisterschaften und arbeitet normalerweise am Stützpunkt in Hohenschönhausen. Trotz einer Bescheinigung des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV), dass sie auf den höchsten nationalen Turnieren spielt, darf sie nicht trainieren. Seit November versucht sie selbstständig fit zu bleiben, geht dreimal die Woche laufen und versucht, draußen zu zweit irgendwie am Ball zu sein. “Am meisten vermisse ich es, eine Alltagsroutine zu haben und ein- bis zweimal am Tag zu trainieren. Allein zuhause Workouts zu machen, ist total demotivierend”, sagt Kotzan. Ihr Ziel für den Sommer bleibt jedoch gleich. Sie will sich wieder für die Deutsche Meisterschaften qualifizieren, diesmal mit ihrer neuen Partnerin Chenoa Christ.

Es fehlt ein klares Ziel, wenigstens ein Tag, auf den sie hintrainieren können - Kay Matysik, Bundestrainer

Betroffen von den Einschränkungen ist auch Eric Stadie, der vergangenes Jahr Deutscher Vizemeister wurde, zusammen mit Interimspartner Nils Ehlers. Zwar konnte Stadie sich im Hallenvolleyball fit halten, mit Lindow-Gransee gewann er die Meisterschaft der zweiten Bundesliga Nord. In den Sand darf er jedoch nicht. Stadies einzige beiden spielerischen Teilnahmen in diesem Jahr waren bei der New Beach Order in Düsseldorf. Obwohl er sich bemüht, bestmöglichst fit zu bleiben, haben die beiden Turniere gezeigt: “Es ist eine ganz andere Belastung, wettkampfmäßig anzutreten.” Am meisten vermisst er jedoch die Zuschauer. “Es fehlt einfach die Stimmung, die Leute peitschen ihr Team auf, man wird von außen gepusht”, sagt Stadie.

Seit dieser Woche dürften Stadie und Kotzan jedoch aufatmen. Als Ergebnis der sinkenden Inzidenzen in Berlin dürfen nun Gruppen von bis zu zehn Personen draußen Sport treiben, wenn sie einen negativen Corona-Test vorweisen können. Auch die Beach-Volleyball-Anlagen öffnen diese Woche unter strikten Hygiene-Auflagen, die sowohl einen negativen Corona-Test, eine Registrierung per App als auch eine ständige Maskenpflicht abseits des Feldes beinhalten.

Die Pandemie beeinflusst Motivation und Grundfitness

Doch auch bei den Kaderathlet:innen, die am Stützpunkt trainieren dürfen, macht sich die der Pandemie geschuldeten Monotonie bemerkbar. “Die Motivation und Ergebnisse sind rückläufig, was ich auch verstehen kann”, sagt Matysik. “Die Kids kommen nach Berlin, um zu trainieren und sich in Wettkämpfen zu messen. Viele hatten aber noch nicht mal ein oder nur sehr wenige Turniere. Es fehlt ein klares Ziel, wenigstens ein Tag, auf den sie hintrainieren können.” Sorge bereitet dem Bundestrainer aber vor allem der grundsätzliche Bewegungs- und Sportmangel bei den Kindern. “Ich fürchte, das wird noch ein großes gesellschaftliches Problem werden, was uns lange beschäftigen wird”, sagt Matysik.

Auch bei der Sichtung von neuen Spieler:innen für den Stützpunkt bemerkt der ehemalige Nationalspieler den Einfluss der Beschränkungen: “Es fehlt die Grundfitness. Je nach Bundesland durften verschiedene Gruppierungen trainieren. Manche hatten wochenlang keinen Ball in der Hand. Dementsprechend sehen wir natürlich ein unterschiedliches Leistungsniveau.”

Etwas mehr erlaubt war in Baden-Württemberg. Dort durften Gruppen von fünf Personen kontaktarmen Freizeitsport draußen ausüben. Philipp Sigmund ist seit Anfang diesen Jahres Auswahltrainer sowohl für Hallen- als auch für Beach-Volleyball und zuständig für das gesamte Bundesland. “Das macht es gerade in der Kommunikation unheimlich schwer. Es dauert lange, bis der Beschluss der Regierung so transparent ist um zu verstehen, was wir machen dürfen. Und dadurch, dass jeder Landkreis etwas anderes darf, ist es extrem schwierig, alles auf einen Nenner zu bringen”, berichtet Sigmund. 

Er und sein Trainerteam sind zwar auf den Leistungssport U13 bis U20 orientiert, aber sie bemühen sich auch darum, die große Breite für zukünftige Sichtungen mit zu fördern. Zwar habe es einige Neuanmeldungen gegeben, sagt Sigmund. Die Sichtung an Grundschulen fehle jedoch aktuell, da kaum jemand im Präsenz- und damit Sportunterricht sei. “Das macht uns schon Sorge. Was machen wir mit den ganz Kleinen, die wir noch nicht erfasst haben?”, fragt sich Sigmund.

Allein die Kinder wieder lachen zu hören und im Sand wühlen zu sehen, ist schon ein Gewinn für uns - Philipp Sigmund, Auswahltrainer Baden-Württemberg

Seine bisherigen Schützlinge haben zuhause sehr motiviert weiter trainiert. Sigmund schwärmt von seinem Trainerteam, das in dieser schwierigen Situation neue kreative Methoden entwickelt hat, um den Kindern ein Bewegungsangebot zu schaffen. Vom Einzel- und Online-Training, bis hin zu Trainer:innen, die sich auch im Februar auf den Parkplatz gestellt, ein Netz gesteckt und den Kindern etwas Ballkontrolle beigebracht haben, war hier alles dabei. “Allein die Kinder wieder lachen zu hören und im Sand wühlen zu sehen, ist schon ein Gewinn für uns”, sagt Sigmund. Auch er sieht jedoch die Problematik der fehlenden Ziele. “Natürlich haben wir das Jahr verloren, gerade im spielerischen und taktischen Bereich. Die Wettkampferfahrung fehlt einfach”, sagt Sigmund. Er hofft darauf, dass seine Zöglinge wenigstens an der deutschen Jugend-Beach-Meisterschaft teilnehmen können.

Wie fair wird ein Wettkampf in ungleichen Zeiten?

Die Corona-Pandemie beeinflusst jedoch nicht nur die Leistung der einzelnen Spieler:innen. Sie stellt auch die bisherigen Strukturen eines fairen nationalen und internationalen Wettbewerbs in Frage. So hat Deutschland vergleichsweise sehr spät damit begonnen, seine Top-Athlet:innen zu impfen, während andere Länder trotz hoher Inzidenzen die Jugendmeisterschaften abgehalten haben. “Das könnte gerade in Richtung Europameisterschaft für uns einschneidend werden, weil wir in der Zeit auch nicht so viele sichten konnten und weniger Kinder haben”, gibt Sigmund zu bedenken.

Genauso unklar sei, wie eine gerechte Punktevergabe bei der deutschen Tour ablaufen könnte. Einen fairen Wettkampf zu schaffen, wird nicht leicht, da sind sich alle einig. Doch genauso wichtig ist für alle, in einem sicheren Rahmen überhaupt wieder zu spielen und zu trainieren. “Ein Sommer ohne Beach-Volleyball wäre schon schwierig für mich, auch für das Gemüt”, sagt der Vizemeister Stadie.

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